Traumata sind vererbbar

Traumatische Erlebnisse bewirken Veränderungen im Gehirn, die zu psychischen Krankheiten führen können.

Die Neurowissenschaftlerin Isabelle Mansuy erklärt, wie die sogenannte Neuroepigenetik neue Therapien hervorbringen könnte.


Frau Mansuy, was passiert im Gehirn, wenn wir eine traumatische Situation erleben?
Wenn wir ein Trauma erleben, erleben wir hohen Stress. Bestimmte Hirnareale produzieren dann Stresshormone, was den Metabolismus komplett verändert. Der ganze Körper verändert sich also. Doch nicht nur das. Auch die Art und Weise, wie die Gene in den Zellen, zum Beispiel in Hirnzellen, gelesen werden, kann sich ändern.

«Viele psychische Krankheiten werden auch durch epigenetische Veränderungen im Gehirn ausgelöst.»

Hier tauchen wir bereits in Ihr Forschungsgebiet der Epigenetik ein. Was ist Epigenetik? Man kann es so beschreiben: Unsere Gene sind wie ein Code. Bei einem Computer wäre das die Harddrive. Es braucht aber mehrere Softwares, um die Hard-drive zu lesen, das ist der sogenannte epigenetische Code. Dieser «liest» und interpretiert den genetischen Code. Die Epigenetik bestimmt also mit, welche Gene wie stark zum Zug kommen, welche Gene aktiv sind und welche inaktiv.

Und traumatische Erlebnisse verändern diese epigenetische Lesart in den Hirnzellen?
Wenn der Körper sehr starkem Stress ausgesetzt ist, binden gewisse Enzyme an verschiedenen Stellen an die Gene und das verändert, wie die Gene gelesen werden.

Was hat das für Folgen?
Wenn zum Beispiel Gene anders gelesen werden, welche die Gemütsstimmung kontrollieren, können wir depressiv werden. Denn jene Gene, die die Gefühle regulieren, kommen dann nicht mehr normal zum Zug. Diese epigenetischen Veränderungen werden durch traumatische Erlebnisse ausgelöst und manche Veränderungen bleiben permanent bestehen. Selbst wenn die epigenetischen Veränderungen in der Kindheit passieren, können diese lebenslang überdauern. Das zeigt sich in Verhaltensstörungen oder in Krankheiten wie zum Beispiel Depressionen.

Kann man dieses «epigenetische Trauma» erben?
Ja, denn diese epigenetischen Veränderungen existieren nicht nur in den Hirnzellen sondern überall, auch in dem Stammzellen. Das Kind erbt also einige dieser epigenetischen Veränderungen. Das heisst: Es wird möglicherweise ähnliche Symptome und Verhaltensstörungen zeigen, wie der traumatisierte Elternteil, obwohl es das Trauma selber nicht erlebt hat. Und das über bis zu vier Generationen hinweg.

Heisst das, ich könnte eine Depression entwickeln, weil mein Grossvater im Krieg traumatisiert wurde?
Nicht jeder, dessen Grossmutter oder Grossvater den Weltkrieg erlebt hat, ist depressiv. Fakt ist aber: Das Trauma kann übertragen werden. Wir könnten also die Traumata unserer Grosseltern geerbt haben.

Woher wissen wir, dass dieses Verhalten geerbt ist und nicht erlernt?
Aus Laborversuchen mit Mäusen zum Beispiel. Wenn wir die Spermienzellen eines traumatisierten Männchens nehmen und daraus ein Embryo züchten, zeigt die neu geborene Maus Trauma-Symptome, auch wenn sie den Vater nie zu Gesicht bekommen hat. Bei Mäusen zeigen sich die Symptome in depressivem, risikobereitem und antisozialem Verhalten.

Lassen sich die Erkenntnisse von Mäusen auf den Menschen übertragen?
Die DNA von Mäusen und Menschen ist sehr ähnlich – die codierte Sequenz ist bis zu 90 Prozent die gleiche. Wir haben aber auch Analysen gemacht bei traumatisierten Kindern und traumatisierten Männern und in ihren Zellen haben wir ähnliche epigenetische Veränderungen gefunden, wie bei den traumatisierten Mäusen.

Welche Rolle spielen epigenetische Veränderungen bei psychischen Krankheiten?
Eine grosse. Ich denke, viele dieser Krankheiten werden auch durch epigenetische Veränderungen im Gehirn und in anderen Körperzellen ausgelöst. Wobei diese Krankheiten aus einem Gemisch aus Genetik und Umwelteinflüssen entstehen.

Ergeben sich aus der epigenetischen Forschung neue Therapieansätze für psychische Krankheiten?
Wir haben bei Mäusen gesehen, dass die epigenetischen Veränderungen, die von Traumata herrühren, korrigiert werden können. Bei Mäusen gelang dies durch das Umfeld: Grosse Käfige, soziale Gruppen, Spielzeuge und gesundes Essen führten dazu, dass die epigenetischen Veränderungen rückgängig gemacht wurden. Allerdings wissen wir beim Menschen noch viel zu wenig über diese komplexen Vorgänge. Doch allein das Wissen, dass die Traumata unserer Vorfahren auch bei uns zu psychischen Krankheiten führen können, bringt uns einen grossen Schritt weiter.

Isabelle Mansuy

 

Isabelle Mansuy ist Professorin für Neuroepigenetik an der Universität Zürich und der ETH Zürich.
2020 erschien im Piper Verlag ihr Sachbuch: «Wir können unsere Gene steuern!
Die Chancen der Epigenetik für ein gesundes und glückliches Leben».
Darin beschreibt sie den Einfluss von Ernährung und Umwelt auf die menschliche Epigenetik.

schweizerische Hirnliga

 

 

Schreiben Sie uns

praxis@pppk.ch

*die mit «Stern» gekennzeichneten Felder müssen zwingend ausgefüllt werden!

Termine für Folgebehandlungen

Das Buchungssystems steht ausschliesslich für Folgebehandlungen zur Verfügung!

Für Neuanfragen verwenden Sie bitte das Formular "Neue Anfragen / Kontakt".